Leseprobe zu  „Feuerfrosch“

Motorengeräusch und laute Stimmen rissen ihn aus den Träumen. Er glaubte, nur Minuten geschlafen zu haben. Er rannte vor die Hütte und sah die Sonne hoch am Himmel stehen. Sie glitzerte auf dem Revolverlauf, den Wintersun ihm entgegenstreckte.

„Kannst du mir nicht die Hand geben, wie jeder anständige Indianer?“ brummte er gereizt. Seine Augen brannten in dem grellen Licht, und er hob die Hand, um sie zu bedecken. Wintersun wirbelte heran und bohrte den Revolverlauf in Nikitas Bauch. Mit dem Schmerz in seinem Magen nahm er langsam die Autos wahr, die unten am Eagle Point parkten, die vielen Indianer, die dort standen, angeführt von der Äpfelelite der Lakota, den ergebenen Bürgern Lance und Lost His Eye, bis hin zu Bluebird, dem Präsidenten und Misty Moon, der Schuldirektorin.

„Ich muß kotzen“, keuchte er.

Schließlich waren es Longwater und Bluebird, die ihn auf seine Toilette begleiteten und zusahen, was er von sich gab. Als ob ich ungesehen durch mein Plumsklo verschwinden könnte, dachte Nikita erbost und ließ sich Zeit mit der Morgenwäsche. Es hatte keinen Sinn etwas zu fragen und erfahren zu wollen. Longwaters Mund war verkniffen wie ein Gallapfel vom letzten Winter, und Bluebird blickte ernster als Sitting Bull bei der Kapitulationserklärung.

„Du mußt vor den Stammesrat“, ließ ihn Longwater endlich wissen, aber da saß er schon eingekeilt zwischen ihm und Bluebird im Polizeiwagen von Wintersun, der nach Pine Ridge sauste und im Rückspiegel kontrollierte, ob Nikita noch da sei. Vielleicht habe ich Hull totgedacht, überlegte er, wenn das so ist, dann gehe ich in Serie.

Die Atmosphäre im Sitzungssaal des Stammesrats war so kalt wie ein Gefängnisgang im Winter. Nikitas Magen war leer, er fühlte sich hohl vom Bauch bis zum Kopf. Da war nichts, was ihm helfen konnte, nur ein großes dumpfes Nichtverstehen. Sie stritten mal wieder, die ehrwürdigen Alten der Treaty Councils und die satte Stammesregierung, gewählt nach amerikanischem Gesetz. Die einen wollten die anderen nicht anerkennen, es ging um Grundsätzliches.

„Allein die Treaty Councils können verurteilen“, mahnte ein Weißhaariger und wackelte mit dem Kopf. Zwei Gruppierungen gäbe es unter ihnen und ihre Legitimation sei älter als der Vertrag von Laramie. Noch seien sie souverän und trotz ihrer Armut unabhängig wie der Adler über dem Land. Das amerikanische Gesetz habe nur Unrecht gebracht und gälte nichts im Stammesrat. Bluebird habe kein Recht, Nikita zu verurteilen.

„Fort Laramie ist mehr als hundert Jahre alt, und unsere Souveränität haben wir in Wounded Knee verloren“, gab Bluebird zurück.

„Du vielleicht und dein voller Magen, dein Auto vor der Tür und dein Konto beim BIA. Aber ich gehe zu Fuß über Mutter Erde und wickle mich nicht in Dollarnoten. Ich sitze noch in meiner Visionsgrube und höre die alten Lieder, Ate heya ca eya, dies sagt der Vater.“ Es war ein Short Bull, der so sprach, ein Lakota, alt und gebeugt wie ein sturmgepeitschter Ahorn mit knorrigen Ästen.

Zuerst erhoben sich die Weißhaarigen, dann folgten die mit den langen grauen Zöpfen und schließlich die Leute aus der Wolfssippe und jene vom Luchsbund. Bluebird ließ die Hände sinken und starrte ihnen nach. Gemäß alter Sitte hatten sie gegen ihn gestimmt, genauso wie mit einem Kreuz auf dem Stimmzettel. Nikita allerdings glaubte nicht, daß ihm das heute noch helfen würde. Die alten Zeiten waren vorbei.

Dann blickte er Ellen an, sah große dunkle Augen in einem blassen Gesicht. Sie drückte und knetete den Lederriemen ihrer Tasche, zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf. Die Botschaft war so eindeutig wie ernüchternd: Ich kann nichts für dich tun. Aber was hatte er getan? ...